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Gründungsaufruf

Gründungsaufruf für ein "College of the Atlantic for Europe" (COH Europe)


Dieser Aufruf intendiert den Aufbau eines privaten Colleges für einen Bachelor of Arts in Human Ecology und einen Master of Philosophy in Human Ecology in Deutschland nach dem Vorbild des College of the Atlantic, Bar Harbor, Maine, USA. Der Aufruf findet die Unterstützung des Präsidenten des College of the Atlantic.

Ein universitäres College of Liberal Arts für Deutschland


Die Hochschulen in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen und einem Strukturwandel, der nur mit der Einführung der Universität nach Humboldts Vorbild zu vergleichen ist. Die Europäisierung der Studienprogramme durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse bringt Studierenden ein großes Maß an Mobilität in der gesamten europäischen Union. Für viele Studierende in Deutschland bringen die straff organisierten neuen Studiengänge klare Orientierung und damit Studierbarkeit im Vergleich zum bisherigen eher unübersichtlichen "Studiendschungel". Für eine Reihe von Studierenden stellen sich diese neuen Studiengänge jedoch als reine Verschulung und Gängelung dar, und sie empfinden eine Unterforderung und unzulässige Begrenzung ihrer bereits gewonnenen Eigenständigkeit im Wissenserwerb. Diese Studierenden, wenn auch in der Minderzahl, erwarten von der Universität vor allem ein freies Studium, in dem sie ihre Anlagen und Fähigkeiten entwickeln können. Das aber vermögen die in Deutschland immer größer gewordenen öffentlich finanzierten Hochschulen auch angesichts knapper werdender Mittel kaum noch zu leisten. Was fehlt sind kleine private Hochschulen nach dem Vorbild der Colleges of Liberal Arts in anderen Ländern, die zugleich eine größere Bandbreite der Studienprogramme und förderlichen Wettbewerb in das deutsche Hochschulwesen einbringen.

Eine freie Hochschule für das Studium von Handlungsweisen nachhaltiger Entwicklung


Die Welt des 21. Jahrhunderts steht vor Herausforderungen globaler Ausmaße. Neben der größten Herausforderung, dem einsetzenden Klimawandel, muss die Menschheit vor allem dem nicht-nachhaltigen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen, allen voran Luft, Wasser, Boden und biotische Ressourcen, wirksame neue Handlungsweisen entgegen setzen. Soll dies gelingen, so müssen wir vor allem unsere jungen Menschen in den Hochschulen zu Innovation, Experiment und den bedachten Auswirkungen von Handlungsweisen anleiten. Statt kanonisiertem Wiederholen des bereits Bekannten muss das systematische Entdecken des Unbekannten deutlich im Vordergrund stehen. Nicht das Abarbeiten fest strukturierter bekannter Wissensbestände durch die Studierenden, sondern die Anpassung des Programms, der Lehr- und Lerninhalte an die Förder- und Entwicklungsbedürfnisse der jeweiligen Studierenden muss dann im Vordergrund stehen. Zwar gibt es in Deutschland inzwischen eine ganze Reihe privater Hochschulen und auch einige, die diese Grundsätze auf ihre Agenda geschrieben haben, keine jedoch stellt sich bislang den genannten ökologischen Herausforderungen und dem damit verbundenen disziplinübergreifenden Brückenschlag zwischen Human- und Naturwissenschaften in Lehre und Forschung. Dass ein solcher Brückenschlag gelingen kann, der zugleich die Förder- und Entwicklungsbedürfnisse junger Menschen ebenso wie das Ziel nachhaltiger Handlungsweisen befördert, dafür steht beispielhaft die Eco League (www.ecoleague.org), ein Verbund amerikanischer Hochschulen. Angeführt von dem 1969 gegründeten College of the Atlantic (www.coa.edu) wird hier der Aufbau einer Hochschule gezeigt, deren Studienprogramm sich der Bildung für nachhaltige Entwicklung verschrieben hat.

Das College of the Atlantic


Das College of the Atlantic, 1969 gegründet, bietet seinen 275 Studierenden die Abschlüsse Bachelor of Arts und Master of Philosophy in Human Ecology an. Humanökologie blickt in den USA auf eine über 80-jährige Tradition zurück, die an der Universität von Chicago ihren Ursprung hat. Dort wurden um 1930 auch die Grundlagen für disziplinübergreifendes empirisch gestütztes Forschen und Lernen gelegt. Die Studienprogramme des College of the Atlantic richten sich projektorientiert auf die Anlagen und Fähigkeiten jedes einzelnen Studierenden. Zwei Pflichtveranstaltungen zu Beginn des Studiums führen in Denk-, Forschungs- und Lernweise der Humanökologie ein. Alle anderen Studieninhalte wählen die Studierenden mentorenbegleitet aus den 40 am College vertretenen Disziplinen und Fachgebieten. Keine Studienveranstaltung hat dabei mehr als 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Projektorientiertes Studium bedeutet für die Studierenden, ihre eigenen Projekte Schritt für Schritt zu entwickeln, bis ihr Studienabschlussprojekt in die jeweilige Abschlussarbeit mündet. Entsprechend vielfältig sind die jeweiligen Projektthemen, die aber in mannigfacher Weise mit realen Themen des Ortes, Problemen der Region aber auch übergreifenden Fragen verbunden sind. Das College of the Atlantic ist nicht zuletzt auf Grund seiner regionalen Einbindung eine besondere Lehrstätte, die über die Projektarbeiten der Studierenden weit in die Region hinein sichtbare Zeichen ihrer Unternehmungen und Forschungsinhalte setzt. In Bar Harbor, auf Mount Dessert Island in Maine gelegen, kooperiert es nicht nur mit dem dort gelegenen Acadia National Park (einem der ältesten der USA) oder dem Wassereinzugsgebietsmanagement der benachbarten Counties, zu den Aktivitäten gehören umfangreiche maritime und küstenzonenbezogene Forschungsfelder (die Walforschung hat hier einen ihrer wesentlichen Ursprünge), ebenso, wie Managementfragen im Bereich Tourismus, Museen- und Ausstellungswesen oder ökologische Planungsprozesse und Partizipationsverfahren. Nicht nur Lehre und Forschung, auch die Organisation des Colleges selbst folgt den Prinzipien nachhaltiger Entwicklung und wurde 2005 als erster Campus mit der Zero Waste Graduation ausgezeichnet. Es ist schließlich der berufliche Erfolg der Absolventinnen und Absolventen, den das College aufzulisten vermag, der das Lehr- und Forschungskonzept bestätigt. All das hat freilich auch seinen Preis. Derzeit liegen die jährlichen Studiengebühren bei ca. 28.000 $ und die Gebühren für die optionale Unterbringung und Verpflegung auf dem Campus bei ca. 8.000 $. Zugleich aber greift das amerikanische Stipendiensystem, von dem knapp 70 % der Studierenden des Colleges profitieren.

Eine private Hochschule nach dem Vorbild des College of the Atlantic in Deutschland (oder dem deutschsprachigen Raum)


In den letzten 10 Jahren hat es in Deutschland eine ganze Reihe privater Hochschulgründungen gegeben (1). Die meisten dieser Neugründungen sind unmittelbar von Unternehmen finanziert und bilden, wie z.B. die Beisheim School, im MBA- bzw. Wirtschaftsbereich aus. Auch die Zeppelin-Universität in Friedrichshafen zielt mit ihrem Angebot auf diesen Bereich, verbindet dies aber mit einem breit angelegten Studium Generale. Eine vergleichbare Hochschule, wie das College of the Atlantic, gibt es im Deutschen Sprachraum bislang nicht, und auch aus den Ländern der Europäischen Union sind keine entsprechenden Institutionen bekannt. Dieser Gründungsaufruf intendiert den Aufbau einer privaten Hochschule nach dem Vorbild des College of the Atlantic in Deutschland (bzw. dem deutschsprachigen Raum). Damit stellt sich die Herausforderung, geeignete Konzepte für Lehre und Studium, Organisation und Administration, Ort und Region sowie Finanzierung und Stipendien auf die europäischen und deutschen Bedingungen einzurichten

Organisation und Administration


Die Konzeption des Colleges sieht eine schrittweise Entwicklung vor. Die Deutsche Gesellschaft für Humanökologie ist dabei nicht nur das Netzwerk, aus dem sich ein wichtiger Teil des Lehrpersonals rekrutieren wird, sondern insbesondere die Institution, welche die Qualität der Lehre und Forschung am College sicherstellen wird. Aus diesem Netzwerk und darüber hinaus wird zudem ein wissenschaftlicher Beirat gegründet werden, der das College hier in Europa begleitet. Gelingt es, das College zunächst als Zweiginstitut des College of the Atlantic zu gründen, so hätte das den weiteren Vorteil, dass ein Teil der Administration zunächst in den USA verbleiben kann. Auf diese Weise könnte das College am europäischen bzw. deutschen Standort behutsam in die Eigenständigkeit hineinwachsen. Es ist noch im Detail zu untersuchen, welche Anteile der Organisation und Administration an welchem Standort optimal anzusiedeln sind, zumal hierbei auch das Finanzierungsmodell eine erheblichen Einfluss hat.

Finanzierung und Stipendien


Die Entwicklung eines geeigneten Finanzierungsmodells für eine private Hochschule in Deutschland oder dem deutschsprachigen Raum ist fraglos eine besondere Herausforderung. Im Vergleich zu den USA oder dem angelsächsischen Raum bedarf das Stiftungs- und Stipendienwesen in Deutschland dringend einer Weiterentwicklung, auch wenn sich in den letzten Jahren insbesondere die steuerlichen Bedingungen für Stifter und Spender verbessert haben. Es ist ein erster großer Meilenstein für das zu entwickelnde Gründungskonzept Gründungsstifter, sodann Zustifter und Förderer einzuwerben. Auch hierbei kann, trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den USA, das College of the Atlantic als Vorbild dienen. Die über die Jahre gesammelten Erfahrungen mit dem amerikanischen Finanzierungsmodell erlauben es, auch für das hiesige Vorhaben die entsprechenden Kennzahlen für eine mittel- und langfristig solide finanzielle Basis zu entwickeln. Darüber hinaus bietet das College of the Atlantic einen großen Erfahrungsschatz im Fundraising und Umgang mit ihren Stiftern und Spendern, der für die Gründung und Entwicklung eines College of the Atlantic for Europe hilfreich sein wird.

Ort und Region


Ein College of the Atlantic for Europe sollte einen Ort wählen, der es erlaubt, das College thematisch mit der Region unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Entwicklung zu vernetzen. Insbesondere die UNESCO-Biosphären liefern hierzu hervorragende Anknüpfungspunkte. In eine Machbarkeitsstudie sollten, zumal hier erste, teils informelle Gespräche mit positiver Resonanz bereits erfolgt sind, unbedingt einbezogen werden:

a) Die Insel Rügen mit der Biosphäre Ostrügen; weitere Informationen and Bilder -> hier

b) Das südliche Brandenburg mit der Biosphäre Spreewald; weitere Informationen and Bilder -> hier

c) Das Tal der kleinen Emme in der Schweiz mit der Biosphäre Entlebuch;  weitere Informationen and Bilder -> hier

Studium und Abschlüsse


Studium und Lehre sollen sich an den Interessen und Fähigkeiten der Studierenden orientieren. Studium und Lehre an einem College of Liberal Arts intendiert sowohl auf Seiten der Lehrenden als auf Seiten der Studierenden einen größtmöglichen Freiraum. Die Akkreditierungsverfahren in Deutschland sind nicht nur langwierig sondern unter Umständen kontraproduktiv. Zumindest in der Startphase könnte es von Vorteil sein, nicht auf eine Akkreditierung des Studienprogramms in Deutschland zu setzen, sondern in Absprache mit dem College of the Atlantic zunächst deren in den USA akkreditierten Abschlüsse anzubieten. Perspektivisch wiederum könnte daraus eine Art transatlantischer Studienabschlüsse werden. Untersucht werden muss, wie Schritt für Schritt und Semester für Semester ein entsprechendes Studienprogramm eingeführt werden kann. Wie ist das Kerncurriculum zu gestalten? Welche Rolle kommt dabei der Unterrichtssprache zu? Schon auf Grund der Vernetzung des Colleges in die jeweilige Region muss Deutsch neben Englisch eine zentrale Unterrichtssprache sein. Bei diesen Fragen, aber vor allem mit Blick auf die Frage, welche Lehrenden, insbesondere in der Gründungsphase, das College mit Leben erfüllen, wird es hilfreich sein, auf das Netzwerk der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie zurückgreifen zu können.

Forschung


Die Forschung am College wird nach dem Vorbild des College of the Atlantic eng mit der Lehre verzahnt sein. Die Ausgestaltung im Detail wird davon bestimmt sein, in welcher der oben skizzierten Regionen das College angesiedelt ist. Gleichwohl lassen sich schon jetzt einige Themenschwerpunkte benennen, die derzeit den eigendisziplinären Kern der Humanökologie darstellen. Neben dem problem- und praxisorientierten Schwerpunkt der Entwicklung von Strategien eines integrierten nachhaltigen Regionen- und Zonenmanagements reichen diese von grundlagentheoretischen Fragestellungen der Verbindung von evolutions- und gesellschaftstheoretischen Konzepten über sprachwissenschaftliche Thematiken bis zu methodologischen Verfahren der Partizipation und Transdisziplinarität. Dabei widmet sich Humanökologie nicht nur der fächerübergreifenden Umweltforschung, sondern, genereller, der Förderung und Unterstützung disziplinübergreifender Projekte in Forschung, Lehre und außeruniversitärer Praxis. Humanökologie verbindet die Theoriemodelle und Denktraditionen der beteiligten Disziplinen der Human-, Sozial-, Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie deren praktischen Anwendungsgebiete durch Brückenkonzepte. Dies ermöglicht und befördert den transdisziplinären Dialog, ohne die Eigensinnigkeit der disziplinären Ursprünge zu negieren. Humanökologie ist in diesem Sinne bestrebt, ein erkenntnis- und wissenschaftstheoretisches Bindeglied der in einem Problemkontext involvierten Disziplinen und ihrer Anwendungsbereiche bereitzustellen. Humanökologie stellt sich den Herausforderungen und Gestaltungsnotwendigkeiten unserer auf Wissen und Information basierenden Gesellschaften und den damit verbundenen Ansprüchen an Problemlösungskompetenz, die an die Hochschulen gestellt werden.

Auf dem Weg - Schritt für Schritt


Dieser Gründungsaufruf folgt einer Reihe von Diskussionen innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie und darüber hinaus. Er ist zugleich eine Einladung sich an der neuen Studiengruppe "College of Liberal Arts and Human Ecology" der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie zu beteiligen. Dieser Gründungsaufruf wurde im Rahmen der internationalen Konferenz der Society for Human Ecology im Oktober 2006 in Bar Harbor/Maine mit Vertretern des College of the Atlantic weiter abgestimmt. Er ist zugleich Bestandteil eines erweiterten Strategiekonzeptes zur Einwerbung von Fördermitteln um eine allgemeine Machbarkeitsstudie und ein wissenschaftlich fundiertes Konzept des Colleges in 2007 zu erstellen. Parallel werden die Gespräche mit möglichen Kooperanten aus den Biosphärenreservaten fortgesetzt. Im Mai 2007 wird der erreichte Entwicklungsstand auf der internationalen Tagung "Higher Education for Sustainable Development" der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie ein besonderer Tagungsordnungspunkt sein. Ziel ist in 2 Jahren den Studienbetrieb aufzunehmen.

Berlin, Oktober 2006
Dr. phil. Wolfgang H. Serbser (serbser&coh-europe.de)
Dr. rer. nat. Jadranka Mrzljak (mrzljak&coh-europe.de)




(1) Siehe: Brauns, H.-J. 2003. Private Hochschulen in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. Gutachten im Auftrag der OTA-Stiftung für berufliche Bildung. WIS Institut für Wirtschaft & Soziales GmbH Berlin.