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Konferenz-Einladung 2022
Sich der Zukunft stellen:
Humanökologie und Hochschulbildung
Einladung
Dieter Steiner
Auch ohne den in der Umweltdiskussion dominierenden Klimawandel ist die Menschheit auf dem Weg in eine graue Zukunft. Sie verdrängt ihre lebende Mitwelt immer mehr, nicht zuletzt mit der Herstellung materieller Produkte (aus Beton, Backsteinen, Asphalt, Metallen, Kies und Sand als Bett für Gebäude und Straßen, Holz, Glas, Plastik etc.). Nach einer israelischen Studie[1] ist deren Masse im Vergleich zur irdischen Biomasse (Trockengewicht) von ca. 3 % um 1900 auf 100 % im Jahr 2020 gestiegen und wächst weiter. Ob wir in baldiger Zukunft Gegensteuer geben können hängt stark von der Qualität der heutigen Bildung ab. Man wird sagen, diese ist gut, denn wir haben jetzt an den meisten Hochschulen Kurse bis Programme in nachhaltiger Entwicklung. Das ist richtig und anzuerkennen, genügt aber nicht. Es genügt nicht, wenn sich das Verständnis von nachhaltiger Entwicklung darauf beschränkt, die vordergründigen Auswirkungen unseres zivilisatorischen Tuns von ihrer Umweltbelastung zu befreien und den ganzen strukturellen, letztlich verursachenden Hintergrund außer Acht zu lassen. Zu diesem Hintergrund gehört das Dogma des notwendigen Wirtschaftswachstums, und ausgerechnet bei der Agenda der UN für 2030 gehört dieses zu den Zielen der Nachhaltigkeit!
Unsere Zivilisation, die gegenwärtig eine globale Homogenität anstrebt, muss einen transformativen Weg zu einer unterschiedlichen sozio-kulturellen und natürlichen Bedingungen geschuldeten Diversität von »regenerativen Kulturen«[2] finden. Dies setzt eine geistige Neuorientierung in Form von Bewusstseins- und Weltbildwandel voraus. Konkret müssen wir zum Kern unserer Existenz vorstossen, zur Tatsache, dass wir letztlich ein Teil der Natur und dementsprechend ökologische Wesen sind (oder sein sollten!). Hier wirkt sich wiederum negativ aus, dass die über die letzten Jahrzehnte wachsende Ökonomisierung unserer Zivilisation auch den Bereich der höheren Bildung voll erfasst hat. In Europa hat diese Entwicklung im umstrittenen so genannten Bologna-Prozess resultiert. Zu dieser Entwicklung gibt es aber einen wachsenden Chor kritischer Stimmen. Dazu gehört auch die sich an einem veränderten Weltbild orientierende Humanökologie, eine wissenschaftlich-philosophische, disziplinen-überbrückende Perspektive, die, von den USA ausgehend, auf eine hundertjährige Tradition zurückblicken kann.[3] Sie spielt an verschiedenen Orten eine wichtige Rolle, in Europa aber leider nur ein Schattendasein. Es ist ein Ziel unserer Tagung, dieses nach Möglichkeit aufzuhellen.
Die hier angekündigte Tagung findet unter der Flagge eben dieser Humanökologie statt, aber es seien alle jene zu einer Teilnahme ermuntert, die mit der Art der Anpassung der jetzigen Hochschulbildung an die planetare Gefährdungslage nicht zufrieden sind und sich deshalb Gedanken über alternative bzw. weiterführende Ansätze machen. Die Komplexität der Umweltsituation legt nahe, dass unsere Überlegungen vom mittlerweile bekannten transdisziplinären Bereich ausgehen, in dem fachübergreifende Zusammenhänge und die Wissenschaft überschreitende Beziehungen abgesteckt werden. Diese Grundsituation ist aber offen für verschiedene Erweiterungen, Verstärkungen oder Präzisierungen. Z.B. kann es angezeigt sein, neben den für ein bestimmtes Problem relevanten Disziplinen philosophisch-ethische Überlegungen beizuziehen. Auf der Seite des Praxisbezugs kann bei der Suche nach praktikablen Pfaden zur Lösung von Problemen eine Intensivierung der Kooperation mit Bevölkerung, Unternehmen und öffentlichen Institutionen zu neuen Erkenntnissen führen. Es kann daraus ein intensiverer Ortsbezug entstehen, wobei aber die häufig mitspielende globale Dimension nicht aus den Augen verloren werden darf. Neben der rationalen Argumentation sollen auch emotionale Äusserungen ihren Platz haben, und Naturerfahrungen sollen mithelfen, zu unserer natürlichen Mitwelt einen empathischen Zugang zu finden.
Haben Ihre Überlegungen eine ähnliche Richtung? Dann hoffen wir, Sie zu einer aktiven Teilnahme animieren zu können und freuen uns auf den damit möglichen Gedankenaustausch!
Dieter Steiner, em. ETH-Zürich & COHE, Januar 2022
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[1] Emily Elhacham et al. 2020. »Global human-made mass exceeds all living biomass.« In: Nature 588, 442-444.
[2] Daniel Christian Wahl 2016. Designing Regenerative Cultures. Triarchy Press, Axminster.
[3] Wolfgang Serbser 2004. Humanökologie: Ursprünge - Trends - Zukünfte. oekom, München.